(ds). Morgens 9 Uhr an der Kapelle 11 auf dem Friedhof Ohlsdorf: eine Trauergemeinde nimmt Abschied eines geliebten Menschen. Es fließen Tränen, Personen umarmen sich. An sich nichts Besonderes, stünden nicht vor der Kapelle Polizei- und Justizwagen. Eine in schwarz gekleidete Frau ist offenbar auf Freigang, muss nach der Beisetzung wieder in die Justizvollzuganstalt gefahren werden. Mehrere Justizbeamte begleiten sie von der Grabstätte zum Justizwagen, sorgen dafür, dass die Frau nicht abhaut.
Plötzlich kommt ein Pressefotograf auf die Trauergemeinde zu, macht Fotos. Polizisten stürmen zu ihm, reißen ihm die Kamera aus der Hand. “Danke aus”, sagt Regisseurin Claudia Garde. Es sind Filmarbeiten für den neuen TV-Spielfilm mit dem Arbeitstitel “Conti – die Frau die schweigt”, den die Letterbox Filmproduktion (“Großstadtrevier”, “Notruf Hafenkante”) im Auftrag des ZDF in Hamburg dreht. Als Hauptdarstellerin steht Désirée Nosbusch (57, “Der Irland-Krimi”) als Anna Conti vor der Kamera. Der Pressefotograf (gespielt von Janis Zaurins) wird in der gedrehten Szene an den Aufnahmen gehindert, seine Kamera wird von der Polizei konfisziert. Ein TV-Polizist holt die Speicherkarte aus der Fotokamera. Aber darf er das in Wirklichkeit?
Kurios: Bei den Dreharbeiten kam es zu einem echten Polizeieinsatz. Ein echter Pressefotograf wurde daran gehindert, Fotografien vom Filmset, insbesondere von den Schauspielern, zu machen. Drei Mitarbeiter der Produktion stellten sich nur wenige Zentimeter vom Medienvertreter direkt vor seine Kamera. Nach Aussage des Fotografen so nahe, dass der Corona-Abstand nicht gewahrt wurde! Er rief die Polizei an. Die Beamten vom zuständigen Kommissariat 36 kamen an den Drehort gefahren, klärten auf: “Der Journalist darf nicht am Fotografieren gehindert werden, solange er sich hinter der Absperrung aufhält”, so die Ansage. „Er befindet sich im öffentlichen Bereich und darf Fotografieren.“
Da hat die Filmproduktion wohl das Drehbuch mit dem Gesetzbuch verwechselt…
Peinlich: bei der Produktion handelt es sich um die Letterbox Filmproduktion GmbH mit Sitz in Hamburg. Sie realisiert unter anderem Fernsehserien wie „Großstadtrevier“ und „Notruf Hafenkante“. Auch die Filmarbeiten dieser beiden Polizeiserien werden unregelmäßig von Journalisten und Pressefotografen begleitet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Letterbox Filmproduktion müssten sich also an öffentliche Berichterstattung gewöhnt haben – sollte man meinen.
In weiteren Rollen spielen mit Jan Hille, Maximilian Mundt, Janis Zaurins, Lana Cooper, Oliver Sauer und Gabi Gasser. Ein Sendedatum steht noch fest. Gedreht wurde die vergangenen Wochen in Hamburg unter anderem auf dem Gelände des Albert-Schweizer-Gymnasiums (Alsterdorf), am Billwerder Neuen Deich (Rothenburgsort) und in einem Gebäude an der Lübecker Straße (St. Georg). Dort wurde ein Popstar spektakulär als verdächtige Person in einem Mordfall verhaftet.
Konrads Kommentar
Leider war das Filmteam von der Letterbox Filmproduktion nicht sehr geschult, was den Umgang mit Pressevertretern betrifft. Unser Fotograf und Journalist wurde nach eigenen Angaben von drei Produktionsmitarbeitern aufs Übelste beleidigt, aggressiv angegangen und an seiner Arbeit gehindert. Mit dem Hinweis, er solle sofort das Fotografieren einstellen (weil er keine Genehmigung hätte, Fotos von den Dreharbeiten zu machen) stellte sich zunächst ein Mann, dann eine Frau in sehr penetranter Weise vor seine Kamera. „Die drei Personen sind in meinen Arbeitsbereich eingedrungen, haben weder Anstand gehabt, sich bei mir vorzustellen noch hielten sie den nötigen Corona-Abstand ein. Sie kamen auf wenige Zentimeter an mich heran und hinderten mich daran, meine Arbeit auszuführen“, sagt unser Journalist.
Obwohl mit der Polizei und einer anschließenden Strafanzeige und eines Strafantrags wegen Nötigung gedroht wurde, hielt es die Crewmitglieder nicht davon ab, weiterhin den Journalisten an seiner Arbeit zu hindern. Die Polizei wurde gerufen und gegenseitige Strafanzeigen gestellt. Zwei Personen von der Crew wurden wegen Nötigung angezeigt, der Journalist erhielt ebenfalls jeweils eine Anzeige von den beiden Mitarbeitern, weil er sie berührt habe und sie dies als Körperverletzung ansehen. „Lächerliche Racheaktion“, meint unser Fotograf. Eine Mitarbeitern soll mit ihrer Hand die mehrere Hundert-Euro teure Kameraausrüstung berührt und ständig ihre Hand vor die Linse gehalten haben. Daraufhin kam es offenbar zu einer Berührung mit der Hand des Fotografen und der Produktionsmitarbeiterin. Der Produktionsmitarbeiter stellte ebenfalls einen Strafantrag. Er sah es als Körperverletzung an, weil der Fotograf mit einer Handbewegung auf den fehlenden Corona-Abstand hinwies und es daraufhin zu einer Berührung kam.
Nun muss – vorausgesetzt es kommt zu einer Verhandlung – ein Richter entscheiden, was aus diesem Fall wird.
Aber ein unprofessionelles Verhalten ist es allemal. Fremde Personen respektlos anzusprechen, ohne sich vorzustellen? Ein No Go! Sich jemanden bis auf wenige Zentimeter zu nähern, gerade in Corona-Zeiten, nur damit er keine Fotos von einem Ereignis machen kann?
Filmarbeiten stellen immer ein öffentliches Interesse dar, es entsteht ein zeitgeschichtliches Dokument. Alle Beteiligten wie Schauspieler und Komparsen müssen damit rechnen, dass sie abgelichtet und veröffentlicht werden. Insbesondere Schauspieler müssen sogar mit einer Veröffentlichung rechnen, auf denen sie im Portrait (Einzelfoto) zu sehen sind. Zwar hat jeder Mensch ein Recht am eigenen Bild, aber nicht wenn Personen der Zeitgeschichte im öffentlichen Raum drehen (außerhalb eines Studios). Dann sind auch immer Gesamtaufnahmen – von allen an der Zeitgeschichte Teilnehmenden – erlaubt.
Die Grenzen sind Privatleben und Intimsphäre eines Menschen. Zur Privatsphäre gehören etwa die Aufenthaltsmobile am Set. Durchs Fenster fotografieren? Das ist nicht erlaubt! Auch die Mittagspause im Bereich des Caterings gehört dazu. Schließlich soll sich auch ein Schauspieler in der kurzen Drehpause erholen können – und braucht nicht damit zu rechnen, ständig auf Schritt und Tritt fotografiert zu werden.
Recht am eigenen Bild – nicht für Personen der Zeitgeschichte
Grundsätzlich darf jeder Mensch selbst entscheiden, ob und wie ein Foto von ihm veröffentlicht wird. Journalisten dürfen also nicht einfach alles und jeden fotografieren und das Bild dann ungefragt veröffentlichen. Es muss immer abgewogen werden, ob ein Fotomotiv öffentliches Interesse besitzt. Aber wie bereits erwähnt, gibt es Ausnahmen: Keine Einwilligung wird von Personen aus dem Bereich der Zeitgeschichte benötigt – wenn sie im Zusammenhang mit einem Ereignis von öffentlichem Interesse gezeigt werden und der private Bereich geschützt bleibt. Heißt also: sobald ein Schauspieler beispielsweise bei der Arbeit am Filmset fotografiert wird, muss er es hinnehmen. Geht er in der Mittagspause hingegen zu einem Discounter und kauft privat ein, handelt es sich um ein privates Unterfangen und er kann sein Persönlichkeitsrecht durchsetzen. Traurig, dass Schauspieler und eine Filmcrew nicht dahin gehend geschult werden. Auch die Filmcrew von der Letterbox Filmproduktion scheint diesbezüglich noch geschult werden zu müssen.
Übrigens: Selbst ein privater Einkauf kann ein öffentliches Interesse darstellen, wie ein Urteil aus dem Jahr 2008 belegt. Damals klagte Heide Simonis (ehemalige Ministerpräsidentin) gegen Fotos, die sie beim privaten Einkauf zeigten.
Damit eine Filmcrew überhaupt im öffentlichen Raum drehen darf, Halteverbotszonen für ihren umfangreichen Fuhrpark aufstellen und zum Teil Straßen, Wege und Plätze sperren darf, muss sie bei der Straßenverkehrsbehörde eine Genehmigung einholen. Eine solche hatte sie auch für den Bereich der Kapelle 11. Unser Fotograf/Journalist hielt sich stets außerhalb dieser Absperrung (die nur während der Dreharbeiten und Proben gilt) auf. Dennoch kamen Crewmitglieder auf unseren Kollegen zu, bedrängten und störten ihn an der Durchführung seiner Arbeit. Ein Vorfall, der öfter vorkommt, wenn eine Filmcrew einen Medienvetreter am Filmset sieht. Wir haben bei der Straßenverkehrsbehörde (ist bei der Polizei Hamburg angegliedert) nachgefragt, warum sie nicht die Filmproduktionen bei der Erteilung einer Drehgenehmigung darauf hinweisen, dass sie Journalisten nicht von ihrer Arbeit abhalten dürfen.
„Zunächst einmal bedauere ich sehr, dass Sie offenbar wiederholt Schwierigkeiten bei der Durchführung Ihrer Aufnahmen zu beklagen hatten. Gleichwohl muss ich Ihnen mitteilen, dass wir zurzeit kein Erfordernis einer pauschalen Belehrung Filmschaffender sehen“, teilt Florian Abbenseth, Sprecher der Polizei Hamburg mit.
Liebe Leserinnen und Leser der Hamburger Allgemeinen Rundschau: warum schreiben wir an dieser Stelle einen so ausführlichen Kommentar über einen Streit einer Filmproduktion mit einem Mitarbeiter unserer Zeitung? Ganz einfach: immer wenn Filmarbeiten stattfinden, fragen Passanten oder Anwohner danach, was denn da gedreht wird. Es gibt ein öffentliches Interesse an Dreharbeiten. Wer steht da vor der Kamera? Ist es meine Lieblingsserie? Welche Szene wird gedreht?
Das sind alles Fragen, die sich die Menschen fragen, wenn sie an einem Filmset vorbei laufen. Und wir (Zeitung) teilen es mit. So einfach ist es. Bei uns sind Sie immer auf dem Laufenden, wo in Hamburg gerade gedreht wird und vor allem, was. Das nennt sich Pressefreiheit.
Hatten auch Sie Ärger mit einer Filmproduktion? Schreiben Sie uns gerne Ihre Erlebnisse mit TV-Drehs: info (at) hamburger-allgemeine.de oder redaktion (at) hamburger-allgemeine.de.