(ha/ds). Hamburg verliert Monat für Monat immer mehr Grün. Ob kleine Wälder, Sträucher und Büsche: in allen sieben Bezirken werden Grünflächen vernichtet. Seit heute protestieren im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg Umweltaktivisten mit einer dauerhaften Mahnwache gegen die mögliche Rodung eines etwa 10 Hektar großen Waldes. Auf der Lichtung mitten im Wilden Wald haben sie ein kleines Camp aufgebaut und begonnen, ein Baumhaus zu bauen. Das Bezirksamt Mitte plant dort, gemeinsam mit der IBA, das sogenannte „Spreehafenviertel“ mit 1.100 Wohnungen und 30.000 m² Gewerbefläche zu bauen und dafür den wertvollen Pionierwald zu zerstören.
Ab Oktober ist die Brutzeit der meisten Vögel vorüber und es dürfen in Wäldern, Parks und Gärten wieder Bäume gefällt werden. „Wir müssen zu Beginn der Rodungssaison hier im Wald Präsenz zeigen. Aber nicht nur in Hamburg gehen jetzt wieder die Kettensägen los, sondern überall in Deutschland werden Wälder zerstört, um Autobahnen, Fabriken oder Häuser zu bauen“, erklärt Merle P.
Als Teil des „Wald statt Asphalt“-Bündnisses möchten die Protestierenden in Hamburg auch auf andere Wälder aufmerksam machen, die diesen Winter gerodet werden sollen. Unter anderem soll in Hannover die Leinemasch für die Verbreiterung einer Schnellstraße zerstört werden.
Wohnungsmangel nicht gegen Klimaschutz ausspielen
In Hamburg mangelt es an bezahlbaren Wohnungen, dem stimmen auch die Aktivisten im Wilden Wald zu. Sie betonen jedoch, dass Hamburg gleichzeitig an seinen eigenen Klimaschutzzielen scheitert. Dafür machen sie auch Neubauprojekte verantwortlich, für die Grünflächen versiegelt werden oder wie hier, ein ganzer Wald gerodet werden soll. Laut Hamburger Klimaplan soll jeder Bezirk einen Hektar Wald aufforsten, aber in Wilhelmsburg plant der Bezirk Mitte, gleich 10 Hektar wertvollen, artenreichen Wald zu vernichten. Anfang September haben die Umweltschutzverbände ihre Stellungnahmen zum Bebauungsplan des Spreehafenviertels abgegeben und sich alle deutlich für den unbedingten Erhalt des Waldes ausgesprochen.
„Das Bezirksamt macht sich mit seiner veralteten Stadplanung komplett lächerlich und missachtet Klima-, Umwelt-, Arten- und Gesundheitsschutz. Immer mehr Wohnungen auf dem freien Markt führen nicht zu günstigeren Mieten, das sehen wir ja seit Jahrzehnten“, fasst Aktivist Volker W. zusammen.
Ökologisch nachhaltige Lösungsansätze bieten vielmehr die Sanierung und Umnutzung von brachliegenden Industrie- und Gewerbeflächen, die bereits versiegelt sind, oder der Umbau von leerstehenden Büroflächen zu Wohnungen. „Es ist billiger, städtische Grünflächen platt zu machen, als Industriebrachen umzuwidmen und aufzubereiten, weil die Stadt den Bauinvestoren unsere Naherholungsgebiete und innerstädtischen Naturflächen regelrecht hinterherwirft. In Zeiten der Klimakrise und des Artensterbens ist es unverantwortlich, weitere Naturflächen zu versiegeln“, sagt Nutria Ö.
Es geht auch um Gesundheitsschutz und Umweltgerechtigkeit
Wilhelmsburg ist einer der ärmeren und stark migrantisch geprägten Stadtteile Hamburgs, hier spielt auch das Thema Umweltgerechtigkeit eine wichtige Rolle. Viele Wilhelmsburger sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und können nicht regelmäßig in die Heide oder die Schwarzen Berge fahren. Der Wilde Wald ist für sie ein wichtiges, erreichbares Naherholungsgebiet. Außerdem verbessert jeder Baum und besonders ein ganzer Wald das Mikroklima im Stadtteil deutlich, dämpft den Lärm, filtert Schadstoffe aus der Luft, bindet CO2, kühlt die angrenzenden Wohngebiete im Sommer um bis zu 10 Grad und trägt so zur Gesundheit der dort lebenden Menschen bei.
„Es ist eine Frechheit, wie die Stadt auf die Gesundheit der Menschen hier scheißt. Es würde niemand auf die Idee kommen, das Spreehafenviertel in den Jenischpark zu bauen, aber in Wilhelmsburg kann man das ja machen“, ärgert sich Daniel S.
Versammlungsbehörde hatte Schlafzelte verboten
Die Anmeldung der Mahnwache mit Camp bei der zuständigen Versammlungsbehörde war wieder einmal schwierig. Die der Polizei zugehörige Behörde wollte keine Schlafmöglichkeiten genehmigen, da schlafende Menschen keine politische Meinung vertreten könnten. Mit der gleichen Argumentation wurde 2017 das G20-Protestcamp in Entenwerder geräumt und 2022 versuchte die Behörde das System Change Camp im Volkspark zu verbieten. Beide Male entschieden Gerichte, dass die Versammlungsbehörde rechtswiedrig das Versammlungsrecht eingeschränkt hatte. Auch dieses Mal zogen die Protestierenden im Eilverfahren vor das Verwaltungsgericht und bekamen Recht. Jetzt dürfen auf der Lichtung auch Schlafzelte aufgebaut werden.
„Einsteins Definition von Wahnsinn war, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Wir halten das Versammlungsrecht für ein zu hohes demokratisches Gut, um es ein paar Wahnsinnigen in der Versammlungsbehörde zu überlassen“, resümiert Victor L.
Workshops, Waldküche und Baumhaus bauen
Die Mahnwache soll ein Anlaufpunkt direkt im Wald sein, an dem sich Anwohnende informieren und austauschen können. Außerdem wird es ein vielfältiges Programm mit Workshops, Lesungen und Aktivitäten zu verschiedenen Themenbereichen geben und die „Waldküche“ zaubert jeden Abend ein warmes Essen für alle. Hierbei sind helfende Hände herzlich willkommen, genauso wie beim Bau des Baumhauses. Ab Ende September kann dann auch die Aussicht „von Oben“ auf den Wilden Wald genossen werden.
Kuscht die Polizei Lüneburg vor TV-Produktion “Rote Rosen?”
(ds). Unregelmäßig lädt die Filmproduktion “Rote Rosen” Journalisten und Pressefotografen ans Filmset in Lüneburg ein. Schauspieler stellen sich extra hin, um auf den Pressefotos gut auszusehen. Was aber, wenn die Filmcrew im öffentlichen Raum dreht, wie am Freitag, dem 15. September 2023, auf der Salzstraße Am Wasser in der Lüneburger Innenstadt? Dann sind offenbar Medienvertreter nicht gern gesehen. Ein Hamburger Pressefotograf wurde aufs Filmteam aufmerksam, hielt mit seiner Kamera gedrehte Szenen mit Sebastian Deyle und Michael Meziani fest. Sofort stellt sich ein Mitarbeiter vor seine Linse – hindert ihn daran, Aufnahmen zu machen. Der Pressefotograf reagiert prompt – stellt sich kurzerhand vor die Filmkamera von “Rote Rosen”. Nach seinen Angaben stellt er sich allerdings nicht direkt vor die TV-Kamera, sondern läuft zwischen der Kamera und den Schauspielern „durchs Bild“, was aber auch den Filmdreh stört. Es kommt zu einem Polizeieinsatz.
Eine Beamtin und ein Beamter klären sachkundig auf, dass Schauspieler es dulden müssen, während der Arbeit fotografiert zu werden. “Es gibt einschlägige Urteile”, klärt ein Polizist vor Ort auf und redet einfühlsam auf Darsteller Sebastian Deyle ein. “Ich will nicht ungefragt fotografiert werden. Ich habe das Recht am eigenen Bild”, meint Sebastian Deyle. Grundsätzlich stimmt diese Aussage. Aber es gibt Ausnahmen: wenn sich ein Ereignis um Zeitgeschichte handelt: Stadtfeste, Demonstrationen oder beispielsweise Fußballspiele. Auch bei Filmarbeiten handelt es sich um Zeitgeschichte, die Rechtslage ist eindeutig und das Recht des Fotografen auf seiner Seite. Das sehen auch die beiden Polizisten so. Dennoch entschließt die Polizei, dem Hamburger Medienvertreter eine Art Platzverweis zu erteilen, um eine Eskalation vor Ort zu verhindern. Sprich: er darf seiner journalistischen Arbeit am Filmset nicht nachgehen. “Die Ermittlungsbehörde hat hier eindeutig in die Pressefreiheit eingegriffen”, sagt der Journalist, der namentlich nicht genannt werden möchte und ergänzt: “Wenn eine Filmproduktion in der Öffentlichkeit dreht und keine Fotos möchte, muss sie eine Straßensperre bei der Stadt Lüneburg beantragen oder Sichtschutzwände aufbauen. Das ist hier nicht der Fall.” Tatsächlich ist an diesem Drehtag die Filmcrew mit etwa zehn Mitarbeitenden vor Ort und filmt ohne großes technisches Equipment nur mit einer Steadycam eine Szene mit zwei Schauspielern – keine Absperrung mit Flatterband oder orangenen Hütchen (Leitkegel). Der Journalist muss gehen, während die Filmcrew von “Rote Rosen” seelenruhig weiterdrehen darf und als Auslöser für den Einsatz verantwortlich ist. Warum wird nicht allen Beteiligten ein Platzverweis ausgesprochen? Kai Richter, Pressesprecher der Polizeiinspektion Lüneburg sagt: “Ich möchte den Platzverweis nicht bewerten. Ich freue mich, dass unsere Beamten kompetent und sachkundig gehandelt haben.”
Ein Crewmitglied vor Ort: “Wir wünschen uns, dass sich Journalisten vorher anmelden.” Das hat aber mit Pressefreiheit nicht viel zu tun.
Peinlich: Schauspieler Sebastian Deyle ist der Meinung: „Nur wenn ich in die Fotokamera schaue und nichts sage, stimme ich stillschweigend zu, dass ich fotografiert werde.“ Offenbar werden Schauspieler heutzutage nicht professionell geschult, was den Umgang mit Journalisten und Fotografen betrifft. Schade. Dabei sollte es ein Geben und Nehmen sein. Wir Journalisten informieren Sie, liebe Leserinnen und Leser über aktuelle Dreharbeiten oder andere Ereignisse. Davon haben sowohl die TV-Produktion als auch ein Schauspieler etwas: es ist der Bekanntheitsgrad der Serie oder des Schauspielers, der durch die Berichterstattung erhöht wird. Nur wenn über jemanden berichtet wird, bleibt er dauerhaft in den Köpfen der Leser und TV-Zuschauer.
Nachträglicher Hinweis: Aus Sicht der Polizei Lüneburg soll es sich nicht um einen Platzverweis gehandelt haben, sondern lediglich um eine Bitte. „Ich darf Sie bitten, den Bereich hier zu verlassen“, soll der Polizist den Angaben des Journalisten wörtlich gesagt haben. Auf die Frage, was denn geschehe, wenn er dieser Bitte nicht nachkommt, würde die Polizei den Fotografen vom Filmset weg begleiten. Juristisch ist die Bitte, den Bereich zu verlassen, kein ausgesprochener Platzverweis – aber eine Vorstufe eines solchen. Wäre der Medienverteter also nicht freiwillig gegangen, hätten die beiden Beamten ihn vom Filmset weg begleitet – damit in der Straße wieder Ruhe einkehrt.