Gängelt das Jobcenter Team Arbeit Hamburg seine „Kunden“?

Wer als Selbständiger nicht von seinen Einnahmen alleine seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, wird am Standort für Selbständige betreut. Foto: FoTe Press

(ds). Es ist ein Vorurteil: Bezieher von Arbeitslosengeld 2 (ALG 2, umgangssprachlich Hartz 4) seien faul und hätten keine Lust zu arbeiten. Sicherlich gibt es auch Personen, die partout nicht arbeiten wollen. Aber fakt ist auch, dass es keine Schande ist, ALG 2 zu beziehen. Schließlich ist Hartz 4 die Folge von falscher Politik.

Trotz Job(s) ergänzendes ALG 2

Viele Menschen sitzen an der Kasse im Supermarkt – gehen also einer Arbeit nach – verdienen allerdings so wenig („Mini-Job“), dass sie noch ergänzendes ALG 2 beziehen müssen. Sind diese Personen faul und haben keinen Bock auf Arbeit? Wohl kaum. Auch viele Selbständige sind täglich aktiv und versuchen mit ihrer Tätigkeit über die Runden zu kommen. Aber was tun, wenn deren Kunden die Rechnungen nicht zahlen? Wenn deren Kunden keinen vernünftigen Preis für die erbrachte Leistung bezahlen? Die Kosten steigen stetig: Miete für Betriebsräume, Stromkosten, Kosten für Abfallbeseitigung. Wenn jedes Jahr die Kosten im Vergleich zu den Einnahme in einer Schieflage stehen, kann so mancher Selbständiger schon in die Situation kommen, Hilfe vom Jobcenter bekommen zu müssen.

Jobcenter Hamburg hat Standort für Selbständige

Der Standort für Selbstständige betreut beruflich Selbstständige und hat seinen Sitz im Stadtteil Hamm. Selbständige reichen für einen bestimmten Bewilligungszeitraum (meist drei oder sechs Monate) eine so genannte vorläufige EKS ein. Dabei handelt es sich um eine geschätzte Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Der Selbständige schätzt seine voraussichtlichen Einnahmen und Kosten. Das Jobcenter berücksichtigt allerdings nicht die steuerrechtlichen Kosten, sondern eigene, festgesetzte Kosten. Eine Abschreibung gibt es beispielsweise nicht und üblicherweise werden nur 0,10 Euro je gefahrener Kilometer als Kostenfaktor berücksichtigt (steuerrechtlich sind es beim Finanzamt 0,30 Euro). Auf diese Weise werden also nur tatsächlich entstandene Kosten anerkannt. Ausgaben werden zudem nur anerkannt, wenn diese angemessen und unvermeidbar sind. Verständlich.

Es handelt sich bei den Selbständigen um so genannte „Aufstocker“. Erzielt ein Selbständiger beispielsweise 1.200 Euro inklusive gesetzliche Umsatzsteuer monatlich und hat bezüglich seiner unvermeidbaren Kosten (Wareneinkauf, Fahrtkosten, Telekommunikation, Büromaterial, Miete für Geschäftsräume)nur 700 Euro übrig, so reicht es nicht für seinen Lebensunterhalt. Er bekommt also einen aufstockenden Betrag (ggf. Miete und anteiliger Regelbedarf).

Nach dem Bewilligungszeitraum muss der Selbständige dann erneut eine EKS ausfüllen – diesmal eine abschließende. Heißt: Kassensturz. Jetzt wird offen gelegt, wie viel demjenigen tatsächlich an Leistungen zustehen.

Kopien oder Originalunterlagen?

Offenbar gängelt das Jobcenter, Standort für Selbständige, seine „Kunden“ (Selbständige). Nicht nur, dass viele Selbständige sich scheuen, die komplizierte und aufwendige EKS auszufüllen und Nachweise (Kontoauszüge, Rechnungen, Belege) einzureichen. Offenbar verlangen Sachbearbeiter der Leistungsabteilung, dass die Selbständigen sämtliche Unterlagen in Kopie einreichen müssen! Ein Richter des Sozialgericht Dresden (AZ: S 52 AS 4382/17) hat allerdings diese Praxis für unzulässig angesehen. „Die Zurückweisung von Originalunterlagen sei unzulässig“, heißt es in dem Urteil. Das Sozialverfahren müsse für die Leistungsempfänger gebühren- und auslagenfrei sein.

Selbständig und parallel in einem 1-Euro-Job

Eine weitere Gängelung des Jobcenters: Auch Selbständige werden in eine Arbeitsgelegenheit (AGH) gesteckt. Dahinter verbirgt sich ein 1-Euro-Job, der zum Sinn hat, dass sich Bezieher von ALG 2 gemeinnützig engagieren sollen. Aber ist so eine ehrenamtliche Tätigkeit mit einer Selbständigkeit überhaupt vereinbar? Gemäß einer internen Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit sollten sogenannte „Aufstocker“ in der Regel nicht zu einer Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit verpflichtet werden.

Warum also steckt das Jobcenter Team Arbeit Hamburg „Aufstocker“ in so eine Maßnahme? „Es handelt sich bei der zugrunde zu legenden Passage – die lediglich Aufstocker im Sinne des parallelen Bezug von Arbeitslosengeld I und II betrifft aber nicht die erwerbsfähiger Leistungsberechtigten (eLb) mit Beschäftigung – der Fachlichen Weisungen um eine Empfehlung, was in begründeten Ausnahmefällen Ausnahmen zulässt“, teilte bereits 2016 der Sprecher von Team Arbeit Hamburg, Matthias Thamling mit und brachte zugleich ein Beispiel: „Der Kunde ist mit einer sehr niedrigen Wochenstundenzahl angestellt, die nicht zur Deckung seiner Bedarfe ausreicht, allerdings sozialversicherungspflichtig ist. Dieser Kunde bezieht ergänzende Leistungen vom Jobcenter. Um den Kunden vertiefende Berufserfahrung zu ermöglichen oder an einen mehrstündigen Arbeitsalltag heranzuführen, kann eine Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit mit einer reduzierten Stundenzahl sinnvoll sein.  Ebenso kann es – insbesondere um einen strukturierenden Tagesablauf zu erhalten – sinnvoll sein, den bisherigen Besuch der AGH in Vollzeit nicht lediglich durch eine Teilzeitbeschäftigung zu ersetzen. In der begleitenden AGH kann dann weiter an den persönlichen Rahmenbedingungen gearbeitet werden.“

Thamling hob gegenüber der Hamburger Allgemeinen Rundschau hervor, dass diese Förderungen immer einzelfallspezifisch umfassend zu prüfen und fortlaufend in Hinblick auf die Zielerreichung zu beobachten seien.

„Ich musste eine Arbeitsgelegenheit von 20 Stunden in der Woche absolvieren. Sonst hätte mir das Jobcenter die Leistungen gekürzt oder sogar ganz gestrichen“, sagt ein Selbständiger, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte und ergänzt: „Also hab ich brav 20 Stunden in der Woche gemeinnützig für einen Träger gearbeitet. Hinzu kommen noch die Hin- und Rückfahrt zum Träger. In dieser Zwischenzeit konnte ich meiner Selbständigkeit nicht voll nachkommen, ich habe Kunden verloren – und somit Einnahmen.“

„Oberste Priorität und gesetzlicher Auftrag von Jobcenter team.arbeit.hamburg ist es, arbeitslose Hamburger in sozialversicherungspflichtige und tariflich entlohnte Beschäftigung zu vermitteln. Grundsätzlich gilt: Arbeitsgelegenheiten (AGH) sind nur eines von vielen Förderinstrumenten, die Jobcenter team.arbeit.hamburg bei bedarfsgerechtem Einsatz und unter Berücksichtigung der individuellen Belange des einzelnen Kunden zur Verfügung stehen“, sagt Heike Böttger, ebenfalls Sprecherin des Jobcenters Team Arbeit Hamburg mit. Im Jahr 2015 befanden sich, wie Heike Böttger mitteilt, im Jahresdurchschnitt sieben „Aufstocker“ in Arbeitsgelegenheiten. Auf die Frage, ob sich denn die Situation nach Beendigung der AGH bei den „Aufstockern“ verbessert habe, heißt es: „Dazu liegen uns keine Erkenntnisse vor“.

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